Audio-Tour durch Spandau

Die wundervollen Damen und Herren der Kiezpoeten haben sich die Trends der Pandemie angesehen und das Spazierengehen für sich entdeckt. Extrovertiert wie Sie sind dachten Sie sich dabei: "Mensch, wenn alle spazieren gehen und alle eh solchen Bürstenköpfe für 200€ in den Ohren haben, warum sollten Sie dann nicht durch uns beschallt werden?"

Gesagt, getan! Die Audiotouren sind entstanden. Verschiedene Poeten der Slamszene geben dort mehr oder minder themen- bzw ortbezogene Texte zum Besten und unterhalten euch, während Ihr diese Strecken entlang flaniert. Und so kam ich auch in den Genuss, nach Monaten des Schweigens endlich wieder was zu lesen. Klar, diesmal nur in ein Mikrofon, aber dafür mit Liebe.

Den Text lege ich hier einfach mal mit bei. Gehört hat er natürlich noch eine andere Qualität (Ihr kennt mich :-P), zumal noch viele andere wundervolle Kolleg*innen bei der Audio-Tour "Spandau" dabei sind.

Bei der Spandautour sind mit dabei:

  • Max Golenz
  • Victoria Helene Bergemann
  • Luca Swieter
  • Samson
  • Ortwin Bader Iskraut

Gebt es Euch, selbst wenn Ihr (verständlicherweise) nicht nach Spandau wollt.

Hier mein Beitrag:

Wenn ich gefragt werde, wo ich wohne, antworte ich mit „Spandau“, woraufhin ich ein „oh“ zurückbekomme, als hätten Sie gerade in der Südkurve Ihres Vereins einen Lattentreffer kommentiert. Bevor Tegel geschlossen wurde, wurde ich in regelmäßigen Abständen dann gefragt: „Ist das nicht etwas laut, wegen der Flugzeuge?“

Naja. Wer, wie ich, sechs Jahre an einer Tramkurve im Friedrichshain gewohnt hat, zog das sanfte Brummen einer Boeing 737 dem Quietschen und Rattern einer gequälten M13 um zwei Uhr morgens vor. Nicht selten beginnen einige, über Spandau zu lachen, weil es im „Szene-Kiez“ zum guten Ton gehört, Spandau zu verhohnepiepeln.
Oft erzähle ich sogar auf Poetry Slams oder Comedy Bühnen, dass ich aus Spandau komme, um bereits bei der Begrüßung einen guten Lacher in Berlin zu kassieren. Im Anschluss füge ich an, dass ich in einer Dachgeschoßwohnung mit Blick aufs Wasser genauso viel bezahle, wie eine Kreuzberger Erdgeschoß-WG im Hinterhaus mit Blick auf die Restmülltonne. Dann verstummt das Gelächter schnell wieder. Aber ganz ehrlich. Ich bin froh, dass viele Spandau belächeln oder eine komische Miene ziehen. Denn solange sie lachen, wollen Sie nicht hierherziehen.
Wer will denn schon an einen Ort, wo um 22:00 der Bordstein hochgeklappt wird, wenn er nicht noch vom Vorabend oben ist? (Der F-Hain kichert in seinen Club Mate-Longdrink.)
Wo man auf dem Weg zum nächsten Spätkauf plötzlich in Charlottenburg steht? (Neukölln schunkelt genügsam.)
Ach Spandau! Wo der 80-Jährige dem 90-Jährigen den Platz im Bus frei macht und dieser dann sagt: „Danke, junger Mann!“ (Kreuzberg lacht unverhohlen, ob der Tatsache, dass ihnen diese freundliche Geste meist nicht geläufig ist.)
Ja und einmal. Einmal habe ich dort sogar ein Kind gesehen... Das war's (Nach einer kurzen Pause beginnt Pankow langsam zu prusten und wippt die Kinderwägen sanft vor und zurück.) Dann füge ich noch hinzu, dass das Kind seinen mitgebrachten Fußball nicht gekickt, sondern Wilson genannt hat. (Das Prusten wird zum schallenden Gelächter. Selbst die Kinder mit den schwedischen Namen hören auf ander Brust zu saugen und grinsen zahnlos, auch wenn Sie Cast away mit Tom Hanks aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht gesehen haben)

Jeder lacht sich ins Fäustchen über Spandau, ohne auch nur einen Fuß aus Ihrem Kiez mit irgendeinem ayurvedischen Soja-Papaya-Lassi gemacht zu haben. Ohne auch nur einmal durch die Altstadt geschlendert zu sein und in den kleinen Seitengassen die verwinkelten Fachwerkhäuser gesehen zu haben. Ohne auch ein einziges Mal an der Schleuse, entlang des Lindenufers zu flanieren und ab und an den Jugendlichen Ihre Scheiß Bluetoothboxen im Vorbeigehen in die Havel zu kicken.
Ohne auch nur ein einziges Mal die kleine Insel in Eiswerder gesehen zu haben, auf der sich Haus an Haus, dicht an dicht drängt und ein Gefühl von Robinson Crusoe vermittelt. Ohne auch nur ein einziges Mal dem Naturschauspiel beigewohnt zu haben, wenn in nächtlicher Ruhe entlang der Havel 
ein betrunkener Vollidiot rechtsradikale Parolen grölt, und es aus irgendeinem Fenster in nachtigallgleicher Stimme wie Engelschöre von den Dächern frohlockt:

"Halt deine Fresse, du dumme Sau!"

Wo die Angelfreunde wie Hühner auf der Stange, Reih und Glied entlang des Ufers stehen und dein freudiges Petri-Heil mit anerkennendem Raunen gebilligt wird, dann weißt du, du bist einer von Ihnen. Und wisst ihr was? Das ist auch gut so. Machen wir weiter unsere Späße darüber. Den ein Witz mehr über Spandau ist eine Überlegung weniger hier für 14€ pro Quadratmeter eine WG zu gründen. Es ist eine Win-Win Situation. Spandau bleibt eben dieses Spandau und alle anderen bleiben open minded verschanzt hinter dem eigenen Tellerrand. Das ist ok. Denn Spandau hat so viel Schönes zu bieten, wenngleich es meist nicht die Menschen sind. So viel Schönes, was die meisten mit Ihren To-Go-Bechern in der Hand und dem Macbook unterdem Arm nicht zu schätzen wissen und auch nicht schätzen werden. Seht euch um. Holt euch n Stück Pizza in der Altstadt, hört euch das Glockenspiel zur vollen Stundeund summt auch in schweren Zeiten mit: "Die Gedanken sind frei", während die kleinen Kinder auf dem Spielplatz davor mit dem Glockenspiel auf dem Boden die Melodie schrill und atonal zu begleiten versuchen.Macht die Runde um die Zitadelle, wandert von der Schleuse bis hinunter zu den Anlegestellen der großen Frachter.
Genießt diesen kleinen Spaziergang und dann reißt nen Kalauer.

Neulich habe ich ein T-Shirt mit einem Aufdruck gesehen: Leg dich niemals mit einem Spandauer an: Er kennt Orte, an denen man dich nie mehr finden wird. Ja richtig: Diesen Ort nennt man Spandau.