2. Advent


Liebe Zugereisten. Die westliche und hier speziell die deutsche Kultur vermag oft etwas eigen und verwunderlich zu sein. So auch die Adventszeit. Das explizite Warten auf das zweitgrößte Fest der christlichen Welt. Wenn nicht sogar die gemeinste und böseste Zeit direkt vor dem Fest der Liebe.

Die Kinder liegen weinend in der Ecke ihres abgedunkelten Zimmers und erleiden Höllenqualen durch diese unerträgliche Warterei. Zitternd sabbern sie auf das zerkaute Feuerzeug, dass sie mit wimmernden Geräuschen fest umklammern. „Darf ich die nächste Kerze anzünden? Wann darf ich die nächste Kerze anzünden? Bitte Bitte, lasst mich die nächste Kerze anzünden!“ Dieses Wispern ertrugen die Eltern schon 7 Tage. Nun wagen Sie sich in die Höhle des Löwen: Das Kinderzimmer, welches auch nach Löwenkäfig riecht. Die verwahrlosten Kinder in der dunkelsten Ecke zusammengekauert, geben nur mit ein paar regelmäßigen Funkenflügen des Feuerzeugs den Eltern zu verstehen: „Ja, ich lebe noch, was nicht euer Verdienst ist!“
Die gesetzlichen Vormünder haben es indes geschafft, die komplette Woche standhaft dem Kind das Anzünden der zweiten Kerze zu verwehren. Wenn sie doch nur in wichtigen Dingen der Erziehung so viel Konsequenz bei ihren verzogenen Blagen an den Tag legen würden wie bei dieser sinnentleerten Adventsfolter.

Doch nun bewegen die Erziehungsberechtigten sich Richtung Kinderzimmer, öffnen langsam die Tür um nicht zu schnell Licht in den Raum fallen zu lassen. Je größer der Spalt im Türrahmen wird, umso lauter wird das bedrohliche Fauchgeräusch ihrer einst so liebenswerten und ansehnlichen Tochter oder des stets vitalen Sohnes.
„Du darfst heute die 2 Ker…“ Das Kind springt kreischend hoch und prescht wie eine tollwütige Büffelherde auf die Eltern zu. Nur ein rettender Sprung aus dem Türrahmen und abseits des Weges zum Adventskranz kann schlimmere Blessuren verhindern.

Und ehe man sich versieht, steht ein völlig verwildertes Kind grunzend und keiffend an ebendiesem Kranz und luminiert die zweite Kerze mit schreienden Tobsuchtsanfällen: „BRENNE!!! BRENNE!!!“

Nun brennen zwei Kerzen. Ein kurzer Augenblick Ruhe kehrt in die Räume. Das ist das einzige ruhige Moment der „staden Zeit“ seit dem Entzünden der ersten Kerze. Doch schon nach kurzen Augenblicken erkennt der Sprössling die entsetzliche Wahrheit. Zwei von vier. Halbzeit. Der entspannte Blick wechselt wieder zu der Bestie und das giftige Röcheln durchschneidet die Ruhe. Langsam aber bedrohlich schleichend verschwindet das Kind wieder im Dunkeln des Zimmers und die Türe schliesst sich langsam und leise wieder. Ein leises „darf ich die nächste Kerze anzünden? Wann darf ich sie anzünden?“ flüstert durch die Räume und legt einen beängstigenden Grundton in die einst so heimische Wohnung. Die Eltern richten sich auf, schütteln sich ihren Schock vom Leib und programmieren ihren Festplattenreceiver für den Tatort heute abend.


Nix mehr verpassen.

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